//Warschau würde sich mit Washington gegen die Deutschen verbünden
„Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen im September 1939 verloren in den Jahren des Zweiten Weltkriegs insgesamt sechs Millionen Polen ihr Leben, aber im August 1953 verzichtete Polen als Geste an die DDR auf Entschädigungen, um sein Engagement für im sozialistischen Lager zu demonstrieren." #moszkvater

Warschau würde sich mit Washington gegen die Deutschen verbünden

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Polen warf erneut die Frage der deutschen Kriegsreparationen auf, und nachdem Berlin die Forderung formell zurückgewiesen hatte, wandte sich Warschau an den US-Kongress um Hilfe. Die Tatsache, dass Polen Deutschland offen unter Druck setzt, ist ein weiteres Beispiel für eine von Unsicherheit geprägte Welt, für eine Abfolge von unverantwortlichen Aktionen, die das Gleichgewicht der Weltordnung zu stören drohen. Die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellten Normen und Regeln werden in Frage gestellt, und immer mehr Länder wittern einen geopolitischen Moment, um alte Missstände zu beseitigen oder einfach ihre Position zu verbessern.

„Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen im September 1939 verloren in den Jahren des Zweiten Weltkriegs insgesamt sechs Millionen Polen ihr Leben, aber im August 1953 verzichtete Polen als Geste an die DDR auf Entschädigungen, um sein Engagement für <Demokratie und Frieden> im sozialistischen Lager zu demonstrieren." #moszkvater
„Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen im September 1939 verloren in den Jahren des Zweiten Weltkriegs insgesamt sechs Millionen Polen ihr Leben, aber im August 1953 verzichtete Polen als Geste an die DDR auf Entschädigungen, um sein Engagement für im sozialistischen Lager zu demonstrieren.”
Foto: Museum des Warschauer Aufstands/Eugeniusz Haneman.

Es scheint, als würde Polen nun nicht nur die russische, sondern auch die deutsche Frage regeln und damit nicht nur alte historische Missstände wieder aufleben lassen, sondern auch seine Position als zentrale Macht in Europa stärken. Warschau wird durch die Tatsache ermutigt, dass es in den Vereinigten Staaten offenbar einen Partner für seine Bemühungen gefunden hat, Europa weiter zu destabilisieren und die Spaltung zu vertiefen. In der Tat stimmen die Ziele Polens und der USA in der parallelen Schwächung Moskaus und Berlins überein. So träumt Warschau davon, im Kielwasser der amerikanischen Politik schwimmen zu dürfen, auf dem Weg zu mittelalterlicher Größe und Einflussnahme, die unter anderem die Schwächung des russischen und deutschen Einflusses voraussetzt, die das Land von Osten und Westen her bedrängten.

„Warschau ist der Ansicht, dass der geopolitische Moment gekommen ist, da der Krieg in der Ukraine im vergangenen Jahr neben der Ukraine selbst vor allem Russland und Deutschland geschwächt hat”

Im Einklang mit dieser Politik steht Warschau an vorderster Front bei der Aufrüstung der Ukraine und der Ausweitung der Sanktionen gegen Russland. Es passt auch zu diesen Bemühungen, Deutschland in einer Reihe von Fragen unter Druck zu setzen. Erstens hat es versucht, die deutsch-amerikanischen Streitigkeiten auszunutzen – unter anderem hat es alles darangesetzt, das Energieabkommen zwischen Berlin und Moskau zu blockieren und die Nord-Stream-Pipeline zu schließen, die eine der Grundlagen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist – und gleichzeitig ihre eigene Rolle als regionaler Gasversorger auszubauen. Warschau hat Berlin auch in Verlegenheit gebracht, z. B. bei der Diskussion über die Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine. Deutschland hielt sich in dieser Frage lange zurück, was Warschau ignorierte. Es folgte eine Ankündigung, dass Polen diesen Panzertyp an Kiew liefern werde, was vertragsgemäß die Zustimmung Berlins erfordert.

„Unter diesen Umständen ist das Aufwärmen der Frage der Kriegsreparationen eine offene Provokation gegen ein verbündetes Land 80 Jahre nach den Ereignissen”

Die Forderung ist nicht neu, da Jaroslaw Kaczynski letztes Jahr den Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs zum Anlass nahm, die Idee der deutschen Reparationen zu entstauben. Bei der Vorstellung eines Berichts über die polnischen Kriegsverluste, die sich auf mehr als 1,32 Billionen Dollar beliefen, erklärte der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei, er werde von Deutschland Kriegsreparationen fordern. Polen hat seitdem seine Argumente an die 50 Länder der Welt und an internationale Organisationen geschickt, um zu beweisen, dass Reparationen gerechtfertigt sind. Der Bericht wurde von einer polnischen parlamentarischen Arbeitsgruppe erstellt, die seit September 2017 tätig ist. Bei der Präsentation des umfangreichen Dokuments im Warschauer Königsschloss sagte Kaczynski, dass der 83. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs auch der Tag sei, an dem beschlossen wurde, dass die Polen die Angelegenheit auf die internationale Bühne bringen und eine Entschädigung dafür erhalten sollten, was Deutschland zwischen 1939 und 1945 Polen angetan hat.

Die Begründung ist auch deshalb interessant, weil Kaczynski als einen der Gründe für die geplante polnische Reparationsaktion die Tatsache anführte, dass Kriegsverbrechen an Polen außer in bestimmten Kreisen der Elite nicht in das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit eingedrungen seien. Kaczynski sagt dies, obwohl der Kniefall Willy Brandts in Warschau zu einem starken Symbol der deutschen Nachkriegspolitik geworden ist.

„Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen im September 1939 verloren in den darauffolgenden Jahren des Zweiten Weltkriegs insgesamt sechs Millionen Polen ihr Leben. Doch im August 1953 verzichtete Polen als Geste gegenüber der DDR auf Entschädigungen, um sein Engagement für <Demokratie und Frieden> im sozialistischen Lager zu demonstrieren”

Die derzeitige polnische Regierung behauptet jetzt, dass die vom „kommunistischen Polen” geschlossenen Verträge nicht gültig seien, weil sie von einer Marionettenregierung geschlossen worden seien. Die Autoren des neuen polnischen Berichts sagen auch, dass die polnische Erklärung, die auf Druck der Sowjetunion abgegeben worden sei, rechtlich ungültig sei. Die Position der Regierung wird von einem großen Teil der polnischen Presse unterstützt. Wie Rzeczpospolita nun feststellt, ist die Forderung nach Entschädigung historisch und wirtschaftlich gut dokumentiert, aber völkerrechtlich nicht sehr gut begründet. Die deutsche Regierung betrachtet die Frage der Reparationen für die von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg verursachten Schäden als abgeschlossen. Wie es heißt, hat Polen bereits 1953 auf weitere Reparationen verzichtet und diese Entscheidung wiederholt bekräftigt.

„Berlin unterstreicht, dass die Beendigung der Reparationsfrage einer der Eckpfeiler ist, auf denen die heutige europäische Ordnung aufgebaut ist. Zugleich stellt sich Deutschland weiterhin seiner moralischen und politischen Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg”

Nach Ansicht Berlins sind die außenpolitischen Aspekte der deutschen Wiedervereinigung, einschließlich der Reparationen, durch das Abkommen zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Besatzungsmächten (USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion) von 1990 – den so genannten „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ – geregelt, mit dem der Zweite Weltkrieg in Europa formell beendet wurde.  Der Vertrag wurde von den damaligen Mitgliedern der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, darunter Polen, mit der Unterzeichnung der Charta von Paris angenommen, mit der die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gegründet wurde.

„Viele Polen bezeichnen den Prozess der deutsch-polnischen Aussöhnung immer noch als unvollständig und haben Vorbehalte gegenüber den Deutschen”

Tatsache ist, dass die Deutschen die Polen sympathischer finden als umgekehrt. Mehr als die Hälfte der Polen – 66 Prozent halten die Forderung für rechtmäßig, während 75 Prozent der Deutschen sie für ungerechtfertigt halten – sehen in der Nichtzahlung von Kriegsreparationen das größte Problem zwischen den beiden Ländern, und Deutschland ist nach Russland das zweitgefährlichste Land für die polnische Sicherheit.

Die polnischen Machthaber, die von der Gesellschaft unterstützt werden, fordern nicht nur Reparationen, sondern drohen Deutschland auch mit ernsten Konsequenzen, falls es diese nicht leistet. Vielleicht glauben sie, dass diese Forderung in der gegenwärtigen öffentlichen Stimmung in Europa, die durch den Krieg moralisch begründet ist, übertragbar ist. Obwohl Berlin in dieser Frage hartnäckig an der Nichtzahlung festhält, könnte die polnische Führung die Schwäche der neuen deutschen Regierung gespürt haben. Es ist nicht auszuschließen, dass Warschau nur versucht, das Thema in der Schwebe zu halten, wartend auf den günstigen Augenblick, indem die Ansprüche geltend gemacht werden können. Die regierende PiS scheint sich keine Gedanken über die Kosten einer Verschlechterung der Beziehungen zu Deutschland zu machen, das nach wie vor die größte Macht in Europa ist.

„Recht und Justiz erhoffen sich von der Aufheizung des Themas kurzfristige und vor allem innenpolitische Vorteile”

Schließlich finden in Polen in diesem Jahr Parlamentswahlen statt, und eine Forcierung der Reparationsfrage wird zumindest das rechte Lager stärken. Die PiS-Anhänger sind zu 98 % für eine Entschädigung. Die Forderung könnte ihnen noch mehr Stimmen bringen. Die Opposition greift die PiS auch dafür an, dass diese das Thema vor den Wahlen auf die Tagesordnung gesetzt hat. Dadurch versuchten sie lediglich, von den wirklichen Problemen wie der Inflation abzulenken. Die Regierungspartei solle mit ihren unbegründeten Behauptungen in der Welt lächerlich machen.

„Es ist gut möglich, dass die Kaczynski und seine Genossen das Thema mit dem Ziel aufgeworfen haben, die Opposition zu diskreditieren, denn einer der wiederkehrenden Slogans der Regierungspartei ist, Donald Tusk sei ein Agent von Angela Merkel, also eigentlich eine Marionette der Deutschen. Und wie wir wissen, ist die Beurteilung Deutschlands in der polnischen Gesellschaft, gelinde gesagt, nicht eindeutig”

Die Schwärzung Berlins kann also innenpolitische Vorteile mit sich bringen. Aber Warschau sendet – mit Washingtons Unterstützung – auch eine Botschaft an Berlin, indem es Druck ausübt. Sie teilt Berlin mit, dass sie sich in der neuen europäischen Ordnung an der Seite Deutschlands und Frankreichs sehen will. So wie ich Kaczynski kenne, versucht der polnische Politiker immer noch, Berlin zu beeinflussen, damit Warschau die europäischen Subventionen erhält, die ihm zustehen und die umstritten sind. Es lohnt sich jedoch, all dies in den Kontext des polnischen Sinns für historische Gerechtigkeit und globale Ambitionen zu stellen. So kann Warschau die Deutschen an ihre historischen Sünden erinnern und gleichzeitig das Narrativ der Gefährlichkeit Berlins aufrechterhalten. Indem die Bundesregierung sich weigert, Reparationen zu leisten, können Kaczynski & Co zeigen, dass die Deutschen nur von Reue reden, ihre Bußfertigkeit jedoch nicht aufrichtig ist.

Mit diesem moralischen Druck kann die PiS der USA als deren europäischer Waffenträger einen guten Dienst erweisen, denn auch das Weiße Haus setzt alles daran, die Deutschen vor einem zu großen Aufstieg zu bewahren. Die USA versprachen Warschau und Kiew sogar den Status einer Mittelmacht, um die deutsche wirtschaftliche Hegemonie zu beenden.

(Übersetzung: Sándor Nagy)

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Gabor Stier wurde 1961 geboren und ist ein außenpolitischer Journalist, Analyst und Publizist. Er ist Fachjournalist für Außenpolitik bei den Wochenzeitschriften Demokrata und Magyar Hang sowie Gründungs-Chefredakteur von #moszkvater, einem Internet-Portal über die slawischen Völker im Allgemeinen und die Länder der ehemaligen Sowjetunion im Speziellen. Davor war er 28 Jahre lang bis zu ihrer Auflösung der konservativen Tageszeitung Magyar Nemzet tätig, von 2000 bis 2017 als Leiter des außenpolitischen Ressorts. Er war der letzte Moskau-Korrespondent der Zeitung. Sein Interesse gilt dem postsowjetischen Raum und dessen aktuellen geopolitischen Entwicklungen. Er schreibt regelmäßig für außenpolitische Fachzeitschriften, und seine Beiträge und Interviews erscheinen regelmäßig in der mittel- und osteuropäischen Presse. Er ist Autor des Werkes Das Putin-Rätsel (2000) und seit 2009 ständiges Mitglied des Valdai-Clubs. Er ist außerordentlicher Professor für Kommunikation an der Metropolitan University. Mitglied des Vorstands der Tolstoi-Gesellschaft für ungarisch-russische Zusammenarbeit.