//Krieg in den Medien, Medien im Krieg
„Die offizielle russische Kommunikation konnte niemanden überraschen, da ihr Hauptmerkmal historisch und nicht ohne Grund darin besteht, Einmischungen von außen zu verhindern und die herrschende Elite und Ideologie zu schützen" #moszkvater

Krieg in den Medien, Medien im Krieg

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Es ist seit langem bekannt, dass der Nebel des Krieges einen Großteil der Realität verdunkelt. Wir gewöhnen uns aber auch zunehmend daran, dass der Mediennebel einen noch dickeren Schatten auf die Ereignisse wirft. Denn im Krieg sind auch die Medien ein Kriegsschauplatz, und das gilt besonders im Zeitalter der Informationen. Wir müssen uns mit der traurigen Tatsache abfinden, dass Manipulation Teil der Kriegsführung ist, und so sind Zeitungsredaktionen – ob bewusst oder unbewusst – zu Schlachtfeldern des Krieges geworden. Man könnte sagen, dass die größten Verlierer dabei die Medienkonsumenten sind, wäre es nicht so, dass die meisten von ihnen, was ein Merkmal unserer Zeit ist, sich ebenfalls in die Informationsblase flüchten, die ihre Überzeugungen bestärkt und bestätigt.

„Die offizielle russische Kommunikation konnte niemanden überraschen, da ihr Hauptmerkmal historisch und nicht ohne Grund darin besteht, Einmischungen von außen zu verhindern und die herrschende Elite und Ideologie zu schützen" #moszkvater
„Die offizielle russische Kommunikation konnte niemanden überraschen, da ihr Hauptmerkmal historisch und nicht ohne Grund darin besteht, Einmischungen von außen zu verhindern und die herrschende Elite und Ideologie zu schützen”
Foto:EUROPRESS/Alexander NEMENOV/AFP

Die bewaffneten Konflikte der letzten Jahre sind auch durch einen Informationskrieg gekennzeichnet, bei dem die gegnerischen Parteien versuchen, sowohl traditionelle als auch soziale Medien für ihre Zwecke zu nutzen. Während des Arabischen Frühlings, der auch als Revolution der sozialen Medien bezeichnet wird, war die Situation im Online-Bereich ähnlich, die Rolle der Plattformen hat jedoch seitdem erheblich zugenommen. Der aktuelle Russland-Ukraine-Konflikt ist der erste, der fast live in den sozialen Medien übertragen wird, und diejenigen, die dieses Forum besser nutzen können, sind auch besser in der Lage, die internationale öffentliche Meinung über den Krieg zu beeinflussen. Die Bedeutung dieser Front wird durch die Sanktionierung der russischen Medien und den gewaltsamen und systematischen Ausschluss der russischen Leserschaft aus dem westlichen Informationsraum deutlich. Die Ukraine befindet sich in dieser Hinsicht eindeutig in einer besseren Position, was natürlich verständlich ist, da es sich um ein Land handelt, das angegriffen wird und von der fortschrittlichen westlichen Informationsmaschine unterstützt wird.

„Gleichzeitig können wir auch beobachten, dass das ukrainisch-westliche Narrativ mit seiner gewaltsamen und erzwungenen Überlegenheit, seiner Überbewertung der Opferrolle, langsam nach hinten losgeht und an Kraft verliert. Zuletzt hat beispielsweise die Ankündigung von Volodymyr Zelensky in San Remo einen Aufschrei über diese Politisierung des Festivals ausgelöst, und viele Menschen haben sich gegen den ukrainischen Präsidenten ausgesprochen”

Dieser Krieg erschütterte die europäischen Länder. Nur wenige hatten mit einem so ernsten bewaffneten Konflikt in Europa gerechnet, und im Zeitalter der sozialen Medien waren die Bürger in der Lage, ihre Bestürzung über das Internet in einer noch nie dagewesenen Weise zum Ausdruck zu bringen. Die Frage des Krieges ist zu einer neuen reflexartigen Reaktion geworden, die Teil der Identitätspolitik ist. Während die eine Seite mit dem Anschein von Überlegenheit meint, es gehöre zum zivilisierten Menschen, die ukrainische Flagge zu hissen, während die Andersdenkenden jenseits des Zauns oft kämpferisch und trotzig bereit sind, den Krieg selbst zu verurteilen. Die einen geben Russland die Schuld an allem, während die anderen eindeutig Amerika für die Geschehnisse verantwortlich machen. Wir können diese Reaktion des Durchschnittsbürgers im derzeitigen Kommunikationssturm verstehen. Sie ist jedoch keine Entschuldigung für Analysten und Journalisten, die Fans für die eine, oder die andere Seite geworden sind.

„Die offizielle russische Kommunikation konnte niemanden überraschen, da ihr Hauptmerkmal historisch und nicht ohne Grund darin besteht, Einmischungen von außen zu verhindern und die herrschende Elite und Ideologie zu schützen”

Die „farbigen Revolutionen“ im postsowjetischen Raum in den letzten zwei Jahrzehnten und die daraus gezogenen Lehren haben die Kriegsführung mittels Informationen auf die Ebene der nationalen Sicherheitsstrategie gehoben, wodurch die vom Kreml entwickelte „offensive Verteidigung“ immer effektiver wird. Im russischen Informationsraum ist es beispielsweise Teil der russischen Sicherheitspolitik, Facebook abzuschalten oder es zum ausländischen Agenten zu erklären. Es mag jedoch viele überraschen, dass die informativsten und vielleicht auch vielfältigsten Informationen auf den Telegram-Kanälen der russischen „Voyenkors“ (das sind russische Militärkorrespondenten), zu finden sind. Vielleicht ist es kein Zufall, dass, während Facebook an Nutzern verloren hat, avancierten sich TikTok und in gewissem Maße auch Telegram zu den sozialen Plattformen, die die Weltöffentlichkeit überhaupt über die Hölle des Krieges informieren.

Die andere Seite – und darauf sollten wir uns konzentrieren, denn wir sind Teil des Westens – wendet sich gleichzeitig gegen alles, was sie bisher lautstark verkündet hat. Wir werden jetzt nicht über die ukrainische Kommunikation sprechen, denn wenn ein Land angegriffen wird, ist seine einkanalige und selbst für russische Verhältnisse brutal vereinfachte Propaganda vielleicht verständlich – sie erklärt natürlich nicht das Verbot von Oppositionsparteien und -medien. Auf der anderen Seite sollte die Ukraine nicht als Bollwerk der europäischen Demokratie dargestellt werden.

„Paradoxerweise erinnert die europäische Presse mehr und mehr an die frühere sowjetische Presse: Ideologisch begründete Verbote, das Ausmerzen von Meinungen, die vom Mainstream-Denken abweichen, sind an der Tagesordnung. Hinter den blau-gelben Fahnen, hinter der westlichen Seifenblase, die über Nacht ukrainisiert und mit moralischer Überlegenheit ausgestattet wurde, blubbern lediglich massive Vorurteile und antirussische Gefühle; Russophobie hervor”

In diesem Sinne ist die fortgesetzte Entmenschlichung der Russen auf der internationalen Bühne in vollem Gange, mit dem Ergebnis, dass alles, was russisch ist, zum Schweigen gebracht und ausgeschlossen wird. Um Russland zu dämonisieren und das Opfer moralisch zu stärken, schrecken die westlichen Medien nicht mal davor zurück, die Ukraine rassistisch zu verherrlichen – sie errichtet ja schließlich eine Mauer zwischen der Zivilisation und den russischen Barbaren. Es kann nicht überraschen, dass diese Art von Ansatz von den ukrainischen Medien dann auf die Spitze getrieben wird.

Apropos Paradoxa: Die Pazifisten Westeuropas – man denke nur an die deutschen Grünen – haben sich zu den engagiertesten Kriegsbefürwortern entwickelt und werden dabei von der Presse begeistert unterstützt.

„Eine weitere Richtung, die die westeuropäischen Medien eingeschlagen haben, ist die Kommerzialisierung des Leidens im Ukrainekrieg”

Wie einige Analysten, darunter Shani Orgad, Professor für Medien und Kommunikation an der London School of Economics, festgestellt haben, wird die westliche Medienlandschaft von einer fast unrealistischen und einseitigen Darstellung des Leidens der Ukrainer mit einer Flut von Bildern von zerstörten Gebäuden, Leichen und fliehenden Menschen beherrscht. Ohne zu leugnen, dass das ukrainische Volk Opfer von Aggression und Krieg ist, geht es vor allem darum, die Gefühle der Menschen zu kontrollieren und die moralische Überlegenheit zu stärken. Solche Darstellungen sind nach Ansicht des Forschers perfekt geeignet, die tatsächliche Dynamik und die Realität vor Ort zu verschleiern, so dass die Mainstream-Medien beispielsweise kaum auf die Rolle der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union bei der Eskalation des Konflikts und bei der Rechtfertigung der europäischen Militarisierung eingehen. Somit führt die gezielte Medienhetze und Angstmacherei, die sich durch das oben genannte Ziel erklären lässt, zu einem Hysterisieren des öffentlichen Diskurses und zu einer weiteren Verschlechterung der Stimmung in der europäischen Öffentlichkeit, die wegen des Krieges sowieso nicht gerade blumig ist.

„Der Krieg wird also auch in der Welt der Informationen geführt, und zwar durch die Weitergabe von zweifelhaften oder gar falschen Informationen, durch das Verschweigen sensibler Nachrichten, durch absichtliche Lecks, kurz: durch Manipulation”

Wir halten fest, dass es für beide Kriegsparteien wichtig ist, ein stabiles Hinterland zu haben und Verbündete für die eigene Sache zu gewinnen. Man könnte das also akzeptieren. Es gibt jedoch keine Erklärung für das Verhalten und den Tiefflug der westlichen Medien. Man kann nur darüber schmunzeln, dass Tom Cooper auf der einen und Scott Ritter auf der anderen Seite aus dem kleinsten Erfolg in drei Schritten den Endsieg der Ukrainer bzw. der Russen ableiten. Dabei beziehen sie sich auf unabhängige Experten, die „unwiderlegbare Argumente“ präsentieren, und dabei überzeugt sind, mit ihren höchst einseitigen Analysen auf der sicheren Seite zu stehen.

In diesem Sinne fand die Presse die Geschichten des „Kiewer Gespenstes“. Das waren ein nicht existierender ukrainischer Pilot, der reihenweise russische Kampfflugzeuge abschoss, der Ziegenbock aus Saporischschja, der Dutzende russischer Soldaten in die Luft sprengte, und der ukrainische Rentner, der angeblich eine SU-35 mit seiner Schrotflinte vom Himmel holte. Diese könnten vielleicht zu den verzeihlichen „bunten“ Geschichten der Boulevardpresse gezählt werden. Anders, die vom britischen Geheimdienst verbreiteten „Nachrichten“ über die Krankheit Wladimir Putins oder über die Umstände des bevorstehenden Moskauer Putsches, die von den Mainstream-Medien unkritisch übernommen wurden. Diese Meldungen lassen uns sprachlos. Ebenso wie die Berichte über den „Sturz“ von Sergej Surowkin, die Ankunft westlicher „Wunderwaffen“ in Kiew und die angebliche Erschöpfung der russischen Vorräte haben weder mit der Realität noch mit professionellem Journalismus etwas zu tun.

„Der westliche Mainstream, der so sehr auf seine Objektivität bedacht ist, hat keine einzige Frage über Buča oder über die jüngste Rakete, die ein Haus in Dnipro traf, gestellt. Sie haben das ukrainische Narrativ ohne Wenn und Aber akzeptiert und verbreitet”

Selbst die Widersprüche in der Kiewer Propaganda störten die objektiven Medien nicht sonderlich. Die wunschgesteuerten Berichte dieser Medien waren auch beim Sturz von Soledar einseitig. Es dauerte Tage, bis sie diese Realität akzeptieren konnten. Es ließen sich viele Beispiele anführen, um das Informationsrauschen zu veranschaulichen, das den Krieg von Anfang an begleitet und die Ereignisse willentlich verschleiert, manipuliert und durcheinanderbringt.

Wir kennen auch die Argumente, die diese Haltung aus moralischen Gründen verteidigen. Die Medien sollten sich jedoch entscheiden, ob sie ihre Rolle als Schlachtfeld des Informationskrieges sehen, als aktiver Teilnehmer, oder ob sie sich ihrer ursprünglichen Rolle besinnen, nämlich die Entwicklungen des Krieges professionell und frei von emotionaler Überhitzung darzustellen und zu interpretieren. Angesichts des dichten Nebels des Krieges ist dies bestimmt keine leichte Aufgabe.

(Übersetzung: Sándor Nagy)

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Gabor Stier wurde 1961 geboren und ist ein außenpolitischer Journalist, Analyst und Publizist. Er ist Fachjournalist für Außenpolitik bei den Wochenzeitschriften Demokrata und Magyar Hang sowie Gründungs-Chefredakteur von #moszkvater, einem Internet-Portal über die slawischen Völker im Allgemeinen und die Länder der ehemaligen Sowjetunion im Speziellen. Davor war er 28 Jahre lang bis zu ihrer Auflösung der konservativen Tageszeitung Magyar Nemzet tätig, von 2000 bis 2017 als Leiter des außenpolitischen Ressorts. Er war der letzte Moskau-Korrespondent der Zeitung. Sein Interesse gilt dem postsowjetischen Raum und dessen aktuellen geopolitischen Entwicklungen. Er schreibt regelmäßig für außenpolitische Fachzeitschriften, und seine Beiträge und Interviews erscheinen regelmäßig in der mittel- und osteuropäischen Presse. Er ist Autor des Werkes Das Putin-Rätsel (2000) und seit 2009 ständiges Mitglied des Valdai-Clubs. Er ist außerordentlicher Professor für Kommunikation an der Metropolitan University. Mitglied des Vorstands der Tolstoi-Gesellschaft für ungarisch-russische Zusammenarbeit.